Zusammenfassung/Besonderheiten

Pissarros großformatiges Gemälde L‘Hermitage bei Pontoise zählt zu seinen Meisterwerken der Frühzeit und gehört zu einer Gruppe von Bildern, die für die Pariser Salon Ausstellung von 1868 gedacht war. Eine gesicherte Teilnahme des Gemäldes bleibt allerdings unbestätigt [Tinterow/Loyrette 1994, S. 446; Pissarro/ Durand-Ruel Snollaerts 2005, Vol. II, Nr. 119, S. 111]. Um 1930 erfolgte der Ankauf des Bildes durch Ambroise Vollard von Pissarros Sohn, Georges Manzana-Pissarro, in diesem Zusammenhang ist möglicherweise auch die frühe Doublierung des stabilen, köpergebundenen Gewebes zu sehen. Schon mit bloßem Auge wird deutlich, besonders auffällig bei der Betrachtung im Streiflicht, dass das stabile Textil bereits bemalt war, als Pissarro mit der Darstellung des Gehöfts begann. Dafür sprechen von der sichtbaren Komposition abweichende Oberflächenstrukturen, die der unterliegenden Malerei zuzuordnen sind (Abb. 3, 7). Das Röntgenbild offenbart eine gänzlich andere Darstellung mit weiten Feldern, einem höher liegenden Horizont sowie einer Brücke im Vordergrund (Abb. 4). Ein damit weitgehend übereinstimmendes Bildmotiv besitzt das Gemälde Die Route d‘Ennery bei Pontoise aus der Sammlung des Musée d‘Orsay, das sich in Pissarros Œuvre sieben Jahre später findet. Zwar weicht das Bildmaß des deutlich kleineren Formats gravierend ab, auch der Betrachterstandpunkt ist nicht ganz deckungsgleich, doch die Darstellung derselben hügeligen Landschaft eines Nachbartals ist unverkennbar (Abb. 14). Die Ursache des Verwerfens dieses ersten Motives ist ungeklärt, möglicherweise ist es mit Pissarros damaliger wirtschaftlicher Situation zu begründen. Ohne eine Trennschicht aufzubringen, übermalte er die erste Darstellung mit der sichtbaren Malerei sehr sorgfältig. Über den zeitlichen Abstand zwischen der Erstbemalung und der Ausführung der sichtbaren Darstellung können keine Aussagen getroffen werden. Auffällig bleibt lediglich, dass sich nur wenige Frühschwundrisse ausgeprägt haben, die gemeinsam mit vereinzelt vorzufindenden Auslassungen entlang nicht geschlossener Farbflächen wertvolle Hinweise auf die Farbigkeit der verworfenen Komposition liefern: dominierende Farbtöne waren demzufolge leuchtendes Hellblau im Himmel, Grün, stumpfes Gelbgrün und Ocker im Vordergrund sowie Schwarzgrau entlang des Horizontes (Abb. 11, 12). Bei der Darstellung des sichtbaren Motivs L‘Hermitage bei Pontoise erfolgte der Einsatz der Malwerkzeuge Pinsel und Spachtel oder Malmesser wechselweise. Pissarro modelliert damit die Oberfläche des pastosen, körperhaften Farbmaterials sehr differenziert und nahezu plastisch (Abb. 7, 8). Auch wenn sich einzelne Farbaufträge nass in nass durchmischen sind auch zweifelsfrei Trocknungsphasen ablesbar, so dass davon auszugehen ist, dass Pissarro das Werk in mehreren Arbeitssitzungen schuf (Abb. 9, 10). Zwei Fingerabdrücke in Randbereichen der grauen Farbe im Himmel stammen vermutlich vom Künstler und manifestieren zusätzlich seine Präsenz im Gemälde (Abb. 13). Die eigenhändige Signatur und Datierung erfolgte nach Abschluss der Malerei nass auf trocken (Abb. 6).

Camille Pissarro
L´Hermitage bei Pontoise, 1867, Öl auf text. Träger, 91,0 x 150,5 cm, WRM 3119

Camille Pissarro

geb. am 10. Juli 1830 in Charlotte Amalie, St. Thomas, Dänisch-Westindien,
gest. am 12. November 1903 in Éragny-sur-Epte

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Weitere Abbildungen:

Abb. 02

Rückseite, doubliert


Abb. 03

Streiflicht


Abb. 04

Röntgenaufnahme


Abb. 05

Textiler Bildträger in Köperbindung, Mikroskopaufnahme (M = 1 mm)


Abb. 06

Detail, Signatur mit Ausschnittvergrößerung, Mikroskopaufnahme (M = 1 mm), Pfeile weisen auf feine Frühschwundrisse hin, die die Malschicht samt Signatur
durchziehen


Abb. 07

Detail, virtuoser Einsatz von Pinsel und Spachtel; darunterliegende diagonale Strukturen des ersten verworfenen Bildentwurfs sind erkennbar


Abb. 08

Detail im Streiflicht, Werkzeugspuren von Spachtel und Pinsel


Abb. 09

Detail, Figur im linken Bildvordergrund, die erst auf die bereits angetrocknete Farbschicht gelegt wurde


Abb. 10

Farbauftrag nass in nass vermalt, Mikroskopaufnahme (M = 1 mm)


Abb. 11

Auslassungen im Bereich des Himmels in der grauen aufgespachtelten sichtbaren Malerei; die leuchtend hellblaue
Farbigkeit des darunterliegenden ersten Bildentwurfes
wird erkennbar, Mikroskopaufnahme (M = 1 mm)


Abb. 12

Frühschwundrisse in der sichtbaren Malerei, die die ockerfarbene Farbschicht der ersten Bildanlage zeigen (Bereich der Hand des Mannes im linken Bildvordergrund),
Mikroskopaufnahme (M = 1 mm)


Abb. 13

Detail im Streiflicht, Fingerabdruck Pissarros(?) an der oberen linken Kante


Abb. 14

Camille Pissarro, Die Route d‘Ennery bei Pontoise, 1874,
H 55,0 x B 92,0 cm, Musée d‘Orsay, Paris; die Komposition stimmt auffallend mit der im Röntgenbild sichtbaren,
verworfenen ersten Bildanlage des Kölner Gemäldes überein