Zusammenfassung/Besonderheiten

Dieses Gemälde zählt zu einem von insgesamt acht Werken, die Camille Pissarro nach seinem sechswöchigen Aufenthalt im spätsommerlichen Varengeville im Jahr 1899 zurück nach Eragny brachte [Pissarro/Durand-Ruel Snollaerts 2005, S. 797, Kat.- Nr. 1293, S. 800]. Für die Darstellung des Obstgartens wählte Pissarro ein hellgrau vorgrundiertes und im Standardformat F10 auf einen Keilrahmen aufgespanntes Gewebe. Wie viele der Impressionisten scheute sich auch Pissarro nicht, dieses für die Gattung des Porträts vorgesehene Standardformat um 90 Grad zu drehen, um darauf ein Landschaftsmotiv im Querformat zu malen (Abb.1). Der vermutlich zum ursprünglichen Bestand zählende Keilrahmen trägt die Patentmarke der Firma Bourgeois Ainé, wohingegen die Geweberückseite eine schablonierte Marke der Pariser Firma P. Contet aufweist (Abb. 7). Besonderes Kennzeichen der Malweise sind kurze, oft halbrund geschwungene Pinselstriche, die nass in nass oder nass über nass erfolgten. Zur ersten, womöglich zeichnerisch nicht vorbereiteten, Anlage der Komposition trug Pissarro das Farbmaterial dünn auf und gab dabei grundlegende Farbgebungen und Formen vor. Die sich im weiteren Verlauf verdichtenden Farbaufträge gewinnen zunehmend an Pastosität. Dies gilt nicht etwa nur für hell ausgemischte Malfarben, sondern auch für die dunkelgrünen Farbaufträge zur Darstellung des Blattwerks der Bäume (Abb.3). Allem Anschein nach entschied sich Pissarro erst spät zur Darstellung der Kuh im Bildvordergrund. Darauf weisen die darunter befindlichen grünen Farbaufträge, die andernorts Flächen wie etwa zur Darstellung der Baumstämme frühzeitig aussparten. Trotz weitgehend dicht ineinander oder übereinander verwobener Farbaufträge bleibt die hellgraue Grundierung in den Zwischenräumen einzelner Pinselstriche sichtbar (Abb. 8). In der Komposition erzeugen diese Leerstellen lichte Akzente, wohingegen ihre zunehmend Präsens in den Randbereichen ein wiederkehrendes Merkmal impressionistisch erfasster Natureindrücke sind. Nicht zuletzt aus diesem Grund mag man vermuten, dass Pissarro dieses Gemälde vor dem Motiv schuf. In offensichtlicher Zufriedenheit mit dem Geschaffenen signierte er das Bild unmittelbar oder kurz nach seiner Fertigstellung (Abb. 6).

Camille Pissarro
Obstgarten in Varengeville, 1899, Öl auf text. Träger, 47,0 x 56,0 cm, WRM Dep. 850

Camille Pissarro

geb. am 10. Juli 1830 in Charlotte Amalie, St. Thomas, Dänisch-Westindien,
gest. am 12. November 1903 in Éragny-sur-Epte

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Weitere Abbildungen:

Abb. 02

Rückseite, mit Händler- und Herstellermarken (vgl. Abb. 7


Abb. 03

Streiflicht


Abb. 04

Durchlicht


Abb. 05

UV-Fluoreszenz-Aufnahme


Abb. 06

Signatur und Detail des Buchstabens „P“, dessen dunkelblaue Farbe sich mit der darunter befindlichen Malschicht partiell durchmischt, Mikroskopaufnahme (M = 1 mm)


Abb. 07

Details, Geweberückseite mit Firmenmarke P. Contet sowie Patent- marke der Firma Bourgeois Ainé auf der Mittelstrebe des Keilrah- mens


Abb. 08

Hellgraue Grundierung zwischen unterschiedlich grün pigmentierten Farbaufträgen, Mikroskopaufnahme (M = 1 mm)


Abb. 09

Dünne und teilweise flächig ausgebreitete Farbaufträge, die zur farb- und formgebenden Anlage der Komposition dienten, Mikroskopaufnahme (M = 1 mm)


Abb. 10

Detail, im Bereich des Hauses freiliegende Stellen der Grundierung und hier deutlich ablesbarer Aufbau von dünnen bis zu pastosen Farbaufträgen, die nass in nass vermalt wurden


Abb. 11

Vom Pinsel aufgenommenes, unterschiedlich
pigmentiertes Farbmaterial vermischt sich im
Pinselstrich, Mikroskopaufnahme (M = 1 mm)


Abb. 12

Veränderungen grüner Farbaufträge, Mikroskopaufnahme (M = 1 mm)


Abb. 13

Details, Streiflichtaufnahmen der Bildvorderseite und der Bildrückseite bezeugen, dass Schüsselbildungen und
Abhebungen einzelner
Malschichtschollen zu
Deformationen des Gewebes geführt haben


Abb. 14

Details, rötlich braune Reste eines älteren, getönten Firnisüberzuges in den Tiefen pastoser Farbaufträge zeigen die typische gelbgrünliche Fluoreszenz eines gealterten harzhaltigen Überzuges unter UV- Anregung, Mikroskopaufnahme (M = 1 mm)