Zusammenfassung/Besonderheiten

Guillaumin malte das bei Flut ansteigende Meer an der französischen Atlantikküste auf einer dicht gewebten, weiß vorgrundierten Leinwand im Standardformat M 30. Die Leinwandrückseite trägt ein Firmenzeichen des Pariser Händlers Tasset & l’Hôte, wobei sich der Keilrahmen durch einen Prägestempel als ein Produkt der Firma Bourgeois Ainé ausweist (Abb. 2). Nicht selten verarbeiteten Händler Produkte, die sie von einem größeren Hersteller bezogen [vgl. Van Tilborgh/Hendriks 2006, S.106, 166, Abb. 6]. Die Firma Bourgeois Ainé zählte in Frankreich zu den größten Fabriken zur Herstellung von Malmaterialien und ließ ihr Keilrahmenmodell mit dem Warenzeichen modèle déposé B patentierten, was als Qualitätssiegel der Zeit galt [Bourgeois Ainé 1888, S. 86].

Auf diese vom Händler vorbereitete Leinwand zeichnete Guillaumin mit schwarzem Stift flüchtig einige Konturen von Horizont und Felsen. Die anschließende Malerei in dynamischer Pinselführung entstand vorwiegend nass in nass, vermutlich in nur zwei oder drei Arbeitssitzungen. Im gleichen Zuge setzte der Künstler seine Signatur in die noch feuchte Malschicht. Einige letzte korrektive Überarbeitungen, Akzente und Ergänzungen folgten auf der bereits trockenen Farbe.

Nicht nur das Motiv und die Malweise geben Anlass eine Entstehung in freier Natur zu vermuten, sondern auch verschiedene weitere Entdeckungen. So finden sich in mehreren Partien mikroskopisch zweifelsfrei als Sand zu identifizierende Körner, die in die noch feuchte Malerei geraten und dort eingebettet sind (Abb. 11). Außerdem markieren sich kreisrunde Abdrücke in drei der Bildecken, die von sogenannten Abstandshaltern stammen könnten [vgl. Caillebotte, WRM Dep. FC 602; Bomford 1990, S. 178] (Abb. 12). Dabei handelt es sich um runde Holzklötzchen mit beidseitiger Metallspitze, die zum sicheren Transport zweier frisch gemalter Bilder in die Ecken gepiekst wurden, um so einen Abstand zwischen den sich zugewandten Bildflächen zu gewähren [vgl. Winsor & Newton 1896, S. 117]. Einen dritten Hinweis auf die Pleinair-Malerei gibt eine von Guillaumin auf die Keilrahmenrückseite aufgebrachte Bleistiftnotiz, die den Ort und stundengenauen Zeitpunkt der Bildentstehung angibt: „marée montante 4 h AOUT [18]92“ (dt. steigende Flut, 4 Uhr, August 1892) (Abb. 8). Aufschriften dieser Art sind im Œuvre Guillaumins mehrfach bekannt [vgl. Serret, Fabiani 1971, Nr. 336; Guillaumin, WRM Dep. FC 559].

Armand Guillaumin
Das Meer bei Saint-Palais, 1892, Öl auf text. Träger, 60,4 x 93,4 cm, WRM Dep. FC 749

Armand Guillaumin

geb. am 16. Februar 1841 in Paris,
gest. am 26. Juni 1927 in Orly, Val-de-Marne südlich von Paris

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Weitere Abbildungen:

Abb. 02

Rückseite mit Hersteller- und Händlernamen


Abb. 03

Streiflicht


Abb. 04

Durchlicht


Abb. 05

UV-Fluoreszenz-Aufnahme


Abb. 06

Infrarotreflektogramm


Abb. 07

Detail, Signatur


Abb. 08

Detail, oberer Keilrahmenschenkel mit Aufschrift Uhrzeit, Monat und Jahr der Bildentstehung: „4h Aout 92“


Abb. 09

Detail, unterer Umspann, zweischichtiger Grundierungsaufbau,
Mikroskopaufnahme (M = 1 mm)


Abb. 10

Detail, Streiflicht, aufschäumende Gischt, dynamische Pinselführung


Abb. 11

Detail, Horizont mit in der Malschicht eingebetteten Sandkörnern, Mikroskopaufnahme (M = 1 mm)


Abb. 12

Detail, linke Bildecke, kreisrunde Abdrücke in der frischen Farbe stammen vermutlich von handelsüblichen Abstandhaltern (siehe oben), Mikroskopaufnahme (M = 1 mm)