Zusammenfassung/Besonderheiten
Paul Gauguin wählte für das Motiv Ein bretonischer Junge, entstanden 1889, eine Bildgröße im Standardformat F30 von 92,0 x 73,0 cm. Das Maß verwendete er in diesem Jahr aus einem erhaltenen Umfang von siebzig Gemälden sechsundzwanzig mal [vgl. Wildenstein 1964]. Der textile Bildträger aus einem dichten, unregelmäßigen Gewebe wurde vermutlich von ihm selbst grundiert. Diese Beobachtung korrespondiert mit den Kenntnissen über Gauguins Arbeitsgepflogenheiten [Christensen 1993]. Dabei wurde die dünne, und magere weiße Grundierung offenbar ohne Vorleimung direkt aufgebracht. Gauguin skizzierte anschließend mit schwarzer Kohle die wesentlichen Formen (Abb. 8). Mit blauer Farbe und Pinsel fixierte er im nächsten Arbeitsschritt korrigierend alle Umrisse, die er tatsächlich in der Malerei verwirklichen wollte. Auch diese Arbeitsmethode ist für Gauguin bereits publiziert [Jirat-Wasiutynski/Travers 2000, S. 71]. Infrarotreflektogramm und mikroskopischer Befund machen deutlich, dass einige dieser frühen Linien von der sichtbaren Malerei abweichen (Abb. 5, 9). Dabei lassen sie die geplante Darstellung im Unklaren. Ungewiss ist so etwa das Motiv, das Umrisse in der linken oberen Bildecke beschreiben, möglicherweise handelt es sich um die verworfene Darstellung eines Tieres, ein Bildmotiv, das Gauguin häufig in den Gemälden dieser Zeit integrierte. Sehr große Ähnlichkeit lässt sich beispielsweise zu einer Illustration eines Hundes herstellen, wie auf dem Gemälde Frauen am Meeresufer (Mutterschaft), allerdings erst 10 Jahre später 1899 entstanden [Wildenstein 1964, Nr. 581]. Auch bei den senkrechten Linien im rechten oberen und mittleren Bildteil bleibt fraglich, ob Gauguin hier vielleicht die Ansicht von Baumstämmen plante, wie beispielsweise bei dem Gemälde Die blauen Bäume, 1888, zu sehen [Wildenstein 1964, Nr. 311]. Möglicherweise hatte er sogar zunächst eine ganz andere Komposition im Sinn, die er noch während der Bildentstehung verwarf, oder aber er verwendete für die Darstellung des Jungen einen bereits teilbemalten Bildträger der Vorzeit. Besonders gut spiegelt Gauguins Methode der doppelten Zeichnung und farbigen Konturierung die unvollendete Studie Die Tahitianer von 1891 aus dem Besitz der Londoner Tate Gallery wieder (Abb. 14). Denn auch hier zeigt sich eine sorgfältig ausgeführte Kohlezeichnung, der in einem zweiten Arbeitsgang eine Konturierung mit blauen Pinselstrichen folgte, bevor Gauguin schließlich mit Farbe die Flächen zu füllen begann. Zur weiteren malerischen Ausarbeitung des Bretonischen Jungen verwendete Gauguin offenbar sehr dünne, magere Farben, die mit teils recht feinen Pinseln in zahlreichen Schichten aufgebracht wurden. Dabei legte er jedoch keinen Wert auf einen deutlichen Pinselduktus, sondern bezog vielmehr die Struktur des Bildträgers ein (Abb. 10). Pentimenti gestattete sich Gauguin auch in dieser Arbeitsphase, so beispielsweise hinsichtlich des Formverlaufs der Hüfte oder des rechten Armes (Abb. 6, 12). Im Zuge einer Doublierung wurde das Bildmaß später umlaufend um etwa 1 cm vergrößert. Diese Maßnahme, bei der die Oberflächenstruktur starke Verpressungen erfuhr, wurde bereits sehr früh durchgeführt: anhand historischer Abbildungen, in Katalogen überlieferten Maßangaben und rückseitigen Beschriftungen ist dieser Eingriff zwischen 1913 und 1928 zu vermuten (Abb. 13).

Paul Gauguin
Bretonischer Junge, 1889, Öl auf text. Träger, 93,0 x 74,2 cm, WRM 3114

Paul Gauguin

geb. 7. Juni 1848 in Paris,
gest. 8. Mai 1903 in Atuona auf den Marquesas-Inseln

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Weitere Abbildungen:

Abb. 02

Rückseite, doubliert


Abb. 03

Streiflicht


Abb. 04

UV-Fluoreszenz-Aufnahme


Abb. 05

IR-Reflektogramm, von der sichtbaren Darstellung deutlich abweichende und z.T. ungeklärte Linien, beispielsweise in der linken oberen Ecke oder Vertikale im rechten Bildbereich


Abb. 06

Röntgenaufnahme


Abb. 07

Details, Signatur in Auflicht (oben) und unter UV-Anregung


Abb. 08

Kohlepartikel des ersten Unterzeichnungschrittes werden sichtbar (Pfeile), Mikroskopaufnahme (M = 1 mm)


Abb. 09

Blaue Pinselzeichnung, hier wurde der Formverlauf anschließend wieder mit Grün überarbeitet, Mikroskopaufnahme (M = 1 mm)


Abb. 10

Detail, Inkarnat, malerischer Aufbau wird in mikroskopischer Vergrößerung besonders gut sichtbar, Mikroskopaufnahme (unten), (M = 1 mm)


Abb. 11

Detail der Hand, Streiflichtaufnahme, dünner Farbauftrag


Abb. 12

Detail, Pentiment der Kontur des rechten Armes


Abb. 13

Formatveränderung von fremder Hand: das ursprüngliche Bildmaß (weißer Rahmen) wurde durch eine Doublierung und veränderte Aufspannung früh umlaufend vergrößert, wie eine historische Schwarz- Weiß-Aufnahme von 1913 im Abgleich mit dem heutigen Bilformat unterstreicht. Die nebenstehenden Details des Umspanns zeigen die ursprünglichen Befestigungen entlang der heutigen Bildkante (rechts, Pfeile) sowie die Verwendung eines grundierten Doublierungsgewebes (ganz rechts).


Abb. 14

Paul Gauguin, Die Tahitianer, um 1891, Öl über Kreide/Kohle auf Papier, 85,4 cm x 101,9 cm, Tate, London