Zusammenfassung/Besonderheiten

In dem kleinen, an der Côte d’Azur gelegenem Seebad Agay malte Guillaumin seit den frühen 1890er Jahren eine Vielzahl von Ansichten der dortigen Felsformationen [Gray 1996, S. 50], darunter auch die Darstellung der Felsklippe an der Landzunge von Baumette, die einer rückseitigen Beschriftung zufolge im Januar 1893 um 4 Uhr nachmittags entstand [‚Rocher à la pointe de la Baumette Jer 93 4h’, Abb. 2, 7]. Eine solch stundengenaue Datierung ist bester Beleg für die Entstehung des Bildes im Freien und kein Einzelfall im Werk von Guillaumin, der soweit bekannt zeitlebens überwiegend draußen arbeitete. Die Ziffer „4“ findet sich zudem auf dem unteren Umspann des Bildes, vielleicht ebenfalls eine Notiz vom Künstler, um die Uhrzeit der Bildentstehung schon während der Lagerung oder des Transports auf den ersten Blick schnell zu erfassen (Abb. 7).

Ein weiteres Indiz für die Freilichtmalerei findet sich am oberen Bildrand in Form eines halbkreisförmigen Abdrucks in der noch nassen Malschicht. Er könnte von der Halterung stammen, die der Fixierung des Bildes im Innendeckel eines damals handelsüblichen Malkoffers diente (Abb. 12). Das Gemälde entstand auf einer dicht gewebten, weiß vorgrundierten Leinwand im Standardformat P8 und trägt auf der Leinwandrückseite eine Schablonierung des Pariser Händlers Tasset & l’Hôte (Abb. 2).

Die Grundierung weist eine vermutlich herstellungsbedingte schlechte Kohäsion zum Träger auf sowie Bereibungen, Verfärbungen und Verluste, die von einer nachlässigen Behandlung der noch unbemalten grundierten Leinwand zeugen, sei es durch den Händler oder durch den Künstler selbst. Aufgrund verschiedener Faktoren erscheint die weiße Grundierung heute insgesamt dunkler und ähnelt damit optisch einer ungrundierten Leinwand, wie sie in anderen Werken Guillaumins häufiger Verwendung fand [Callen 2000, S. 67] (Abb. 9).

Mit schwarzem Graphit- bzw. Bleistift skizzierte der Künstler flüchtig einige Konturen von Horizont und Felsen auf die weiße Grundierung, bevor er die anschließende Malerei mit dynamischer Linienführung in vermutlich nur zwei oder drei Arbeitssitzungen vollendete (Abb. 11). Einige letzte korrektive Überarbeitungen, Akzente und Ergänzungen sowie auch die Signatur folgten auf der bereits trockenen Farbe (Abb. 9).

Armand Guillaumin
Felsklippe an der Landzunge von Baumette, Öl auf text. Träger, 1893, 33,0 x 46,0 cm, WRM Dep. FC 559

Armand Guillaumin

geb. am 16. Februar 1841 in Paris,
gest. am 26. Juni 1927 in Orly, Val-de-Marne südlich von Paris

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Weitere Abbildungen:

Abb. 02

Rückseite mit Händler- und Formatschablonierung


Abb. 03

Streiflicht


Abb. 04

Reflexlicht, seitlicher Aufnahmewinkel


Abb. 05

Durchlicht


Abb. 06

UV-Fluoreszenzaufnahme


Abb. 07

Detail oben, rückseitige Bleistiftbeschriftung mit Angabe des Entstehungszeitpunkts des Bildes „Jer 93 4 h“ [frz. Janvier
1893, 4 h; dt. Januar 1893, 4 Uhr]; Detail unten, Bleistift-
aufschrift mit der Ziffer „4“ auf dem unteren Umspann, vermutlich ein weiterer Hinweis auf die exakte Uhrzeit
der Entstehung


Abb. 08

Detail, rechter Leinwandumspann mit Korrosionsspuren der
ursprünglichen Nägel und dem Trocknungsrand eines vermutlich bindemittelreichen Überzuges der Grundierung (Isolierung)


Abb. 09

Detail, Signatur


Abb. 10

Letzte Farbaufträge erfolgten nass in nass auf bereits getrockneten Farbschichten, Mikroskopaufnahme (M = 1 mm)


Abb. 11

Kartierung der sichtbaren Unterzeichnungslinien im Infrarot-
reflektogramm (Detail links unten)


Abb. 12

Detail, halbkreisförmiger Abdruck in der frischen Farbe stammt vermutlich von der Halterung zur Fixierung des Bildes
im Innendeckel eines handelsüblichen Malkoffers der Zeit