Zusammenfassung/Besonderheiten

Caillebottes Gemälde Boote und Schuppen am Ufer der Seine besticht durch die Leuchtkraft und Buntheit seiner Farben. Besondere Wertschätzung erfuhr hier das Naturgesetz, dass helles direktes Sonnenlicht die Schattenzonen durch Reflexion aufhellen oder gar farbig erscheinen lassen kann. Durch die senkrecht einfallenden Lichtstrahlen spiegeln sich die roten und gelbgrünen Bootsrümpfe mit nahezu ungebrochener Farbigkeit auf der Wasseroberfläche, wobei der unmittelbare Einsatz von Komplementärfarben den Kontrast noch verstärkt (Abb. 9). Die pointierte Wiedergabe dieser physiologischen Phänomene könnte ein Hinweis darauf sein, dass dieses Bild bei direkter Naturbeobachtung im Freien entstand. Die Darstellung wurde auf einem handelsüblich weiß vorgrundierten Gewebe im Standardformat F 10 ausgeführt und die Umrisse der Motive zunächst ausführlich mit blauem Öl- oder Wachskreidestift unterzeichnet (Abb. 12). Mit Hilfe der Infrarotreflektographie ist die Unterzeichnung deutlich zu erkennen (Abb. 6). Zudem werden in der Himmelpartie Linien sichtbar, die offensichtlich von einer ersten Anlage der Komposition stammen: Stellt man das Bild auf den Kopf, so formieren sich die Striche zur Darstellung zweier Bootsrümpfe, die wie in der aktuell sichtbaren Flusslandschaft schräg hintereinander angeordnet sind. Allem Anschein nach waren sie dem Künstler jedoch zunächst zu groß geraten. Anstatt die missglückten blauen Stiftlinien wieder zu entfernen, drehte er die Leinwand kurzerhand um 180° und begann noch einmal von neuem. Die für Caillebotte recht unübliche partielle rotbraune Untermalung im Himmel könnte in Zusammenhang mit dieser Maßnahme stehen und vielleicht dazu gedient haben, die verworfenen Zeichenlinien zu überdecken. In anderen Bildpartien findet sich diese Art von Untermalungen nicht. Vielmehr weist die Malerei auf einen recht zügigen und vornehmlich nass in nass ausgeführten Farbauftrag hin, der vermutlich nicht mehr als zwei bis drei Arbeitssitzungen in Anspruch genommen hat. Fraglich bleibt die Authentizität der Signatur, die mit verdünnter dunkelgrauer Farbe auf die bereits getrocknete und stellenweise schon craquelierte Farbschicht aufgebracht wurde (Abb. 8). Der heute teils beriebene Schriftzug ähnelt weder den eigenhändigen Signaturen Caillebottes noch den späteren Signaturen, die häufig posthum von seinem Bruder Martial oder seinem Testamentsvollstrecker August Renoir aufgebracht wurden [Berhaut 1994, S. 60, vgl. Caillebotte WRM Dep 622, WRM Dep. FC 689, WRM Dep. FC 727].

Gustave Caillebotte
Boote und Schuppen am Ufer der Seine, 1891, Öl auf text. Träger, 46,0 x 55,0 cm, WRM Dep. FC 603

Gustave Caillebotte

geb. 19. August 1848 in Paris,
gest. 21. Februar 1894 in Gennevilliers

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Weitere Abbildungen:

Abb. 02

Rückseite, doubliert


Abb. 03

Streiflicht


Abb. 04

Durchlicht


Abb. 05

UV-Fluoreszenz-Aufnahme


Abb. 06

Infrarotreflektogramm, um 180° gedreht wird im Bereich des Himmels die erste verworfene Bildanlage mit den Umrisslinien der hintereinander liegenden Boote sichtbar


Abb. 07

Röntgenbild


Abb. 08

Details der Signatur im Auflicht (unten), in der UV-Fluoreszenz (mitte) und als Mikroskopaufnahmen (M = 1 mm); Schriftzug ist stark berieben, partiell gefirnist und verläuft stellenweise im Alterscraquelé


Abb. 09

Detail eines Bootes mit seiner farbigen Wasserreflexion unter Einsatz der Komplementärkontraste der Farbenpaare Gelb-Violett und Rot- Grün


Abb. 10

Detail von Bäumen und Himmel, Pinselduktus ist deutlich ablesbar und orientiert sich am Formverlauf der Motive: dünnschichtig und flächig im Himmel, modellierend und pastos im Blattwerk


Abb. 11

Nass in nass vermalte Farbaufträge, Mikroskopaufnahme (M = 1 mm)


Abb. 12

Blaue Unterzeichnungslinie eines Öl- oder Wachskreidestiftes, Mikroskopaufnahme (M = 1 mm)